Kürzlich hat mich eine Schülerin gefragt, ob ich die kreativen Atelier-Projekte gelegentlich auch zu Hause vorbereite. Wenn ich die Frage hätte verneinen können, wäre es ein Zeichen einer guten Work-Life-Balance. In Wirklichkeit jedoch ist die Vorbereitung mancher gestalterischer Projekte so anspruchsvoll, dass ich dafür auch meine freie Zeit investieren muss. Dies fällt mir nicht schwer, wenn ich bei den Schüler:innen authentisches Interesse an einem bestimmten Thema feststelle. Eine gute Vorbereitung meinerseits stärkt dann die Motivation der Person, die ich anleite, sich den Herausforderungen des Projekts zu stellen. So erging mir bei dem Quilt-Projekt «Abstrakte Landschaft», das eine Auseinandersetzung mit der «Quilt-as-you-go» Methode umfasste.

Das Projekt wurde durch die Quilt-Werke der Textil-Künstlerin Ann Brauer inspiriert. Seit 40 Jahren arbeitet diese selbständig erwerbende Quilterin in ihrem Atelier in Shelburne Falls, USA. Jedes ihrer Werke ist eine Erinnerung an einen bestimmten Ort und bezieht sich auf unterschiedliche Tages- und Jahreszeiten. Als Autodidaktin entwickelte Anne Brauer eine besondere Technik, um die abstrakten Landschaften aus Stoff zu kreieren, indem sie dünne Streifen aus Baumwollstoff direkt auf die Quilt Einlage steckt und näht. Ihre Arbeiten befinden sich in zahlreichen Museen, Institutionen und Privatsammlungen. In den im Internet publizierten Interviews mit der Künstlerin gibt es leider nur wenige Hinweise dazu, wie die Technik gelingt und wie die immer spitz zulaufenden Streifen zusammengesetzt werden.

Inspiriert durch Ann Brauer`s Arbeit, begann ich an einem ruhigen Wochenende die Methode zu erproben. Die vielen Stoffe, inklusive den digital gedruckten, die ich kürzlich im Pachworkshop von Annigna Senn in Zürich fand, ergaben eine schöne herbstliche Stimmung. Meine erste abstrakte Landschaft gefiel mir so gut, dass ich sie einer jungen Frau zeigte, die in dem von mir geleiteten Programm bereits einige Produkte mit grosser Sorgfalt anfertigte. Mir fiel auf, dass sie -trotz ihrer guten Nähtechnik – wenig Selbstvertrauen hatte und die kreativen Entscheidungen immer mir überliess. In der Aufgabe, mit der neuen, von mir entdwickelten Quilt-Technik zu experimentieren, sah ich eine Möglichkeit, ihre Kreativität und Entscheidungsfähigkeit zu fördern. Da ihr die Quilts von Ann Brauer und auch meine genähte Herbstlandschaft sehr gefielen, schlug ich vor, ihr die Technik zu vermitteln. Damit die Aufgabe anfangs einfach bleibt, empfahl ich für die erste Übung eine Kombination aus Jeansstreifen.

Ermutigt durch die gelungene Übung, nahm meine Schülerin die Herausforderung an, einen grösseren Quilt mit der gleichen Technik zu fertigen. Als Thema wählte sie etwas, das ihr immer Freude macht – eine sommerliche Strand-Landschaft. Da ich selbst schon einige Meereslandschaften gefertigt hatte, konnte ich ihre Kreativität problemlos unterstützen. Es war mir eine Freude, ihr einige passende Stoffe aus meiner grossen Sammlung zur Verfügung zu stellen. So nahm die Arbeit bald ihren Lauf – die Stoff-Streifen für den Sand, das Wasser und den Himmel wurden geschnitten und gemäss dem Entwurf angeordnet.


Inspiriert durch Anne Brauer wollte die junge Frau auch eine Sonne in ihr Bild integrieren, was einen Übergang nicht nur von zwei, sondern von drei in der Farbe unterschiedlichen Streifen auf einer horizontalen Linie voraussetzt. Hier stiess ihre Geduld vorerst an ihre Grenzen und sie bat mich um Unterstützung. Da ich im Atelier vielen unterschiedlichen Betreuungsaufgaben nachkommen muss, konnte ich mich der Problemlösung nicht gleich widmen. Um nicht die Idee aufgeben zu müssen und um die Schülerin nicht zu entmutigen, setzte ich mich nach Feierabend an meine Nähmaschine und versuchte, den Sonnenuntergang von Anne Brauer nachzuvollziehen.


Es war offensichtlich nicht einfach, die Streifen in die gewünschte Form zu bringen und mein Resultat war nur halbwegs befriedigend – die Sonne war nicht rund geworden. Ich realisierte, dass es viel mehr Übung bedarf, um die nahtlosen Übergänge und geometrischen Figuren gleichzeitig zu meistern. Am nächsten Tag zeigte ich der jungen Frau meine Resultate und schlug vor, entweder in diese Übung mehr Zeit zu investieren oder vorerst den Entwurf zu vereinfachen. Sie hat sich, angesichts der zeitlichen Begrenzung unseres Programms, für die zweite Option entschieden und konnte von nun an selbständig arbeiten.

Einzig bei den Meereswellen haben wir einmal gemeinsam nach Lösungen gesucht, als sich diese nicht in die gewünschte Form fügen wollten. Zum Glück ist das Meer auch in der Natur dynamisch und keine Welle gleicht der anderen.


Das Quilt wurde am letzten Tag des dreimonatigen Potential-Abklärungs-Programms fertig. Nur die Einfassung habe ich nachträglich hinzufügen müssen. Das Werk hängt jetzt im Atelier und erfüllt mich gleichzeitig mit Freude und Wehmut. – Es zeigt mir einerseits, was für ein unerwartetes kreatives Potential manchmal in den jungen Menschen steckt, andererseits konfrontiert es mich mit grossen Bedauern, solch kreative Menschen, nicht länger auf ihrem Weg begleiten zu können.