Acryltechnik und abstraktes Malen

Wärme – Übung in Farbübergängen

Bereits vor vielen Jahren als ich, unmittelbar nach meinem Psychologiestudium, mich zur Ausbildung als Mal- und Gestaltungstherapeutin entschloss, realisierte ich, dass mich nicht alle Ansätze in diesem Bereich überzeugten. In der anthroposophisch orientierten Ausbildung von Eva Brenner, die auf starke und etwas arbiträre Deutung der Malarbeiten setzte, fühlte ich mich sehr unwohl. Die Begegnung mit dem Kunstpädagogen Arno Stern und die Seminare, die ich später bei ihm besuchte, erlebte ich daher als Offenbarung. Das Malen im Atelier «Clolieu» unter Sterns Aufsicht verfolgte keinen therapeutischen Zweck und ist deshalb keine Kunsttherapie – der Schwerpunkt lag auf der praktischen Betätigung. Stern behauptete, dass wir alle über eine sogenannte «organische Erinnerung» verfügen, der wir gestalterisch, bei entsprechender Praxis, einen Ausdruck verleihen können und beschreibt dies mit folgenden Worten: «das kleine Kind, oder die groß gewordene Person – besitzt verborgen, oder gar verschüttet in der Tiefe seines Wesens die Veranlagung zu dieser Äußerung. Dieses kann nur in ihrer Eigenartigkeit und Unbelastetheit geschehen, wenn in der Person der Ausgleich zwischen dem Vernünftig-Sein und der Spontaneität hergestellt ist. Das ist die Eigenschaft das Malspiels und das dabei Erlebte heisst die Formulation

Seminar mit Arno Stern, 1993. Bild: Archiv Beata Sievi

Als ich das Kreativ-Atelier in der Arbeitsintegration junger Erwachsener übernahm, realisierte ich schnell, dass ich es mit einem sehr heterogenen Publikum zu tun haben werde. – Während die einen Teilnehmenden eine gestalterische Hochbegabung mitbrachten, mit Farbenlehre und perspektivischer Darstellung vertraut waren, wurden andere durch wiederholte Misserfolge entmutig und waren für erneute Versuche im kreativen Bereich nur schwer zu gewinnen. Da mein Auftrag einen arbeitsagogischen Charakter hatte und ich im Hintergrund eine Kompetenzerfassung vornehmen musste, konnte ich kein Malatelier nach Stern`s Grundsätzen einrichten. Dennoch war es mir klar, dass ich seiner Philosophie ein Stück weit folgen möchte. Aus diesem Grunde habe ich nach Aufgaben gesucht, die einerseits relativ einfach gelingen, andererseits der von Stern erwähnten Balance zwischen Spontaneität und dem Vernünftig-Sein, gerecht werden.

Übung in Strukturbildung und Acryltechnik. Bild: Beata Sievi

Ich wählte dazu abstrakte Malerei. Sie unterliegt zwar keinen strengen Regeln, erlaubt aber starke visuelle Effekte nur dann zu erzielen, wenn man sich an bestimmte Grundsätze – im Anwenden der Materialien und Werkzeuge oder in der Komposition – hält. Die Aufgaben habe ich so formuliert, dass sie zu einer Auseinandersetzung mit Farben oder Strukturen einladen, der Schwierigkeitsgrad aber individuell angepasst werden kann. Die Erkenntnis der Psychologie, dass Motivation sehr stark damit zusammenhängt, wie die eigene Erfolgswahrscheinlichkeit in Bezug auf die bestehende Herausforderung eingeschätzt wird, war für mich wegweisend. Ich überlegte mir daher zuerst einfache Aufträge mit wenigen Arbeitsschritten, die schnell Freude bereiten und als Fortsetzung solche, die beim Folgen der Anleitung mehr Ausdauer verlangen.

Beata Sievi – Anleitung zu Struktur- und Rosttechnik
Beata Sievi – Anleitung zu Struktur- und Rosttechnik
Beata Sievi – Anleitung zu Struktur- und Rosttechnik

Jede Aufgabe wird von mir sorgfältig angeleitet und es besteht zuerst eine Möglichkeit, frei mit der Technik zu experimentieren, um die Wirkungen und Möglichkeiten zu erproben, bevor man ein grösserer Malgrund für sein Hauptwerk wählt. Aus vielen möglichen Materialien habe ich die wasserfesten Acrylfarben gewählt, weil sie vielseitige Möglichkeiten bieten. Im nassen Zustand ist die Farbe wasserlöslich und kann leicht bearbeitet werden, doch trocknet sie zu einer wasserfesten und haltbaren Oberfläche. Dadurch können mehrere Schichten aufeinander aufgetragen werden, ohne die darunter liegenden zu verwischen oder zu beschädigen. Die Vielseitigkeit von Acrylfarben zeigt sich auch im Farbauftrag – es können damit dicke Texturen wie in der Ölmalerei oder auch wässrige und leichte Effekte erzeugt werden. Das Bewusstsein für Material, Hilfsmittel und die Grundsätze ihrer Anwendung muss bewusst gefördert werden, bietet aber gleichzeitig den Teilnehmenden eine Gelegenheit neue Kompetenzen zu erwerben.

Stempunk – Bild entstanden unter Anleitung von Beata Sievi

Ich war sehr glücklich einige Acryl-Techniken unter der fachkundigen Anleitung von Rolf Wullimann aus dem Atelier 13 in Selzach zu erlernen. Über seine eindrücklichen Arbeiten sagt er lediglich: «Meine Bilder dokumentieren meine technische Entwicklung». Seine Kurse zu Rost-, Patina- und Lasurtechnik haben mich begeistert und ich gebe das Gelernte in meinem kreativen Atelier an die interessierten Teilnehmenden weiter. Meistens verbinde ich das Erforschen der neuen Technik gleich mit einem Auftrag, z.B. ein Bild für unsere interne Galerie oder als Dekorationsgegenstand für eine andere Abteilung der Institution zu malen. Somit arbeitet die beauftragte Person nicht direkt «an sich» wie in vielen Therapien, sondern müht sich um die Bewältigung einer Sachaufgabe, woraus sich innere Fortschritte automatisch ergeben. Es ist mein Anliegen, dass diese «Belehrung durch Sache» im Vordergrund des Werkstatt-Geschehens steht, da ich darin die entscheidenden rehabilitativen Möglichkeiten sehe.

Meereswasser 1, Bild entstanden unter Anleitung von Beata Sievi
«Meereslandschaft» - Bild auf Leinwand entstanden unter Anleitung von Beata Sievi
«Meereslandschaft» – Bild auf Leinwand entstanden unter Anleitung von Beata Sievi

Ob man die Malerei, die in meinem Atelier entsteht, nun als Kunst oder Handwerk einstuft, ist unerheblich. Entscheidender ist, ob das visuelle Erleben den Schaffenden und den Betrachter begeistern kann – und dies trifft zum Glück immer wieder zu.

Wenn Sie etwas mehr über die Projekte erfahren wollen, freue ich mich über eine Anfrage unter: atelier@beatasievi.ch

In den folgenden Blogartikeln schreibe ich ausführlich über meine Acryl-Techniken und Acryl-Projekte:

  • «Rostbilder – Oxidationseffekte ohne Metall»
  • «Ausdruckskraft der Farbübergänge» (in Vorbereitung)