Landschaft hervorbringen – mit Zentagleart

«Landschaft gibt es nicht ohne den Menschen. Ohne unsern Blick, unsere Empfindungen, ohne unsere Unruhe und unsere Sehnsucht wäre das, was Landschaft genannt wird, nur ein charakteristischer Ausschnitt der Erdoberfläche.» – schreibt Sigfrid Lenz in seinem Essay «Die Wirkung der Landschaft auf den Menschen» aus dem Jahr 1993. «Unter dem schöpferischen Aspekt entsteht Landschaft also zweimal: bestimmt von Zufall und Notwendigkeit, formt sie sich anfänglich als autonomes Gebilde, das nur für sich ist, und sie wird von neuem erschaffen durch die Erlebnisfähigkeit des Menschen. Ob wir ihr gegenüberstehen oder aus ihr herausgucken: Landschaft entsteht durch uns; indem wir ihre Wirkungen registrieren, erkennen wir ihr einen Wert zu, eine auf uns bezogene Bedeutung. Diese Wirkungen spürt jeder, der offenen Sinnes ist, spürt sie als Echo, als Gleichnis, oder, wie der Maler Horst Janssen, als „panisches Mirakel».  Dadurch, dass wir sie auf vielfältige Weise erleben, bringen wir Landschaft noch einmal hervor, – besänftigt oder verängstigt, in ekstatischer Stummheit oder beglückt von Harmoniegefühl.»

Die von Lenz beschriebene Wechselwirkung der Natur und des Menschen findet  in jeder künstlerischen Auseinandersetzung mit der Landschaft statt. Indem wir Orte, die uns beeindrucken oder glücklich machen im Akt des Zeichnens oder Malens festhalten, bringen wir sie auch physisch noch einmal hervor. Die genaue Beobachtung, die in der darstellenden Kunst notwendig ist, erlaubt es, die Details bewusst wahrzunehmen und die Wirkung der Landschaft in ihrem ganzen Reichtum zu erleben. Zentangle, ursprünglich als nicht darstellende kreative Zeichnungstechnik konzipiert, kann von Personen, die die Grundlagen der Methode bereits kennengelernt haben, zu einer achtsamen Auseinandersetzung mit wohltuenden Landschaften genutzt werden.

Eine Zentangle-Landschaft kann direkt in der Natur oder aber mit Hilfe einer fotografischen Vorlage gezeichnet werden. Die Arbeit mit einer Vorlage ist wesentlich einfacher und erlaubt Beschäftigung mit Orten, die uns zwar beeindrucken aber ausserhalb unserer Reichweite liegen. Auf einem ausgedruckten Bild können die wesentlichen Konstruktionslinien der Landschaft eingezeichnet werden, um anschliessend über die Anzahl der zu gestaltenden Flächen zu entscheiden. Danach können die einzelnen Flächen auf dem Bild auf ihre Musterung hin analysiert werden. Hier ist Kreativität und Einfallsreichtum gefragt. Auch wenn alle Zentangle-Übende auf eine grosse Mustersammlung zurückgreifen dürfen und keine Muster selbst entwerfen müssen, fällt die Wahl oft schwer.

Zentangle-Landschaft Zeichnen und Flow erleben - Beata Sievi
Zentangle-Landschaft Zeichnen und Flow erleben – Beata Sievi

Welches Muster eignet sich für die Abbildung der Bäume und welches ist besser für die Berge? Es ist empfehlenswert, die Muster zuerst auf einer Papierkachel zu üben, bis das Zeichnen leicht von der Hand geht und man die Tauglichkeit des Musters für die gewählte Landschaft prüfen kann. In gewissem Sinne ähnelt dieser Prozess der Suche nach einem sog. zeichnerischen Kürzel, das zu einer realistischen Darstellung der Natur geeignet ist. Sollte in der Darstellung auch die Perspektive berücksichtig werden, lohnt es sich, die grossen Motive für den Vordergrund und die Kleinen für den Hintergrund zu verwenden. Erst nach diesen Vorbereitungen beginnt der für Zentangle charakteristische meditative Teil der Arbeit – das Füllen der mit Bleistift vorgezeichneten Flächen mit den gewählten Mustern.

Wenn es sich bei der Landschaft um einen Ort handelt, der für uns eine Bedeutung hat, streben wir oft auf natürliche Weise eine ästhetische Qualität und einen gewissen Grad der Realitätsentsprechung an. Es ist selbstverständlich, dass wir den Lieblings-Ort in der Zeichnung erkennen wollen. Dieser Anspruch verleiht der Aufgabe eine Komplexität, die das Einüben bestimmter Techniken erfordert und einen gewissen Leistungsdruck auslösen kann. Dies sollte aus meiner Sicht, nicht grundsätzlich gescheut werden, zumal sich die Flow-Erlebnisse – gemäss Forschung – erst bei einem angemessenen Grad der Herausforderung einstellen. Für mich ist Zentangle-Landschaft eine perfekte Aufgabe, weil sie das analytische Denken und Strukturieren mit dem Meditativen ausführen sich wiederholender Muster vereint und ich kann damit für Stunden die Zeit vergessen.

Zentangle Landschaft George de lÀreuse

Weniger erfahrenen Zeichner*innen würde ich für den Anfang eher die Darstellung einer abstrakten Landschaft empfehlen, um entspannt die Wirkung verschiedener Muster zu erproben, bevor man sich konkreten Orten und Szenarien zuwendet. In jedem Fall gilt die wichtige Regel, dass es in Zentangle keine Fehler gibt, auch für alle Landschaften.  Der unbeabsichtigte Strich kann eine Option sein, neue Wege zu erproben und originelle Lösungen zu finden. Damit zeugen auch die Arbeiten meiner Zentangle-Gruppe.

Zentangleart Landscape, Anleitung Beata Sievi
Zentangle kombiniert mit Collagen-Technik
Zentangle Landscape, Anleitung Beata Sievi

Mehr über meine Ausbildung und Tätigkeit als Zentanglelehrerin erfahren Sie auf der Seite «Zentangle».

 

 

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