Venezianisches Marmorpapier und Zentangle

Wer durch Venedig spaziert und dabei nicht nur die bekannten Touristenrouten berücksichtigt, wird einige Buchbindereien finden, die sich auf den Verkauf von Buntpapieren spezialisiert haben. Dabei ist es das von Hand gefärbte Marmorpapier, das mit fantastischen Farbkombinationen und einzigartigen Muster die Aufmerksamkeit auf sich zieht, das Exklusivste. Es wird nicht nur als Geschenkpapier, sondern auch zum Überziehen von Büchern und Mappen verwendet. In diesem Blogartikel erzähle ich, was ich über die Geschichte dieses besonderen Papiers erfuhr und wie ich es mit Zentangle verbinde.

Auswahl der Marmorpapiere Legatoria Scriba, Venezia, 2023

Suminagshi, Ebru, Marmor – zur Geschichte des Marmorpapiers

Die Technik, schwimmende Farben für die Herstellung von Buntpapieren zu benutzen, wurde in Japan schon im achten Jahrhundert unter dem Namen Suminagashi bekannt. Ein ähnliches Dekorationsverfahren entwickelte sich auch im Vorderen Orient im Zusammenhang mit der Buchkunst. Im 16. und 17. Jh. waren Marmorpapiere – auch Ebru-Papiere genannt (Ebru heisst in Persisch «Wolke») – in vielen Variationen im ganzen Osmanischen Reich hochgeschätzt. Anfangs des 17. Jh. gelangte das Herstellungsverfahren für das sog. «Türkische Papier» nach Europa und das Rezept wurde 1561 zum ersten Mal öffentlich publiziert, was zum raschen Verbreiten dieser Handwerkskunst in Deutschland, Italien und Frankreich führte.

Pigmente zum Einkaufen, Schaufenster in Dorsoduro, Venedig 2023

Die Herstellung von Hand – damals und heute

Die Herstellung der japanischen Suminagashi oder der orientalischen Ebru Papiere war eine Handwerkskunst, die viel Geschick und Geduld verlangte. Sie ist bis heute beinahe unverändert geblieben. Um ein Marmorpapier herzustellen wird zu zuallererst ein schleimiger Absud von Gummitragant oder isländischem Moos in eine flache Wanne gefiltert. Auf der Oberfläche dieser Flüssigkeit lässt man mit Ochsengalle versetzte Farben auftropfen. Die Ochsengalle verhindert das Absinken und Vermischen der Farben untereinander und kann heute in konservierter Form in Geschäften für Malbedarf besorgt werden, ohne dafür den Schlachthof aufsuchen zu müssen.

Als Marmorierfaarben werden in der Regel Temperafarben verwendet, weil ihre Pigmente sehr klein gerieben und somit leicht genug sind, um auf der Schleimoberfläche zu schwimmen. Die mit einer Pipette aufgetropfte Farbe treibt auf der Oberfläche auseinander und breitet sich aus. Wenn man nacheinander verschiedene Farben in die vorherigen Farbkreise tropft, entstehen bunte Ringe. Ist die Schleimoberfläche mit Farbe gesättigt, kann man mit spitzigen Stiften oder Kämmen die Farben zu einem gewünschten Muster ziehen. Am Schluss wird ein angefeuchteter Bogen Papier vorsichtig auf die schwimmenden Farben aufgelegt.- Das Muster sollte beim Abheben des Papiers darauf haften. Hier ist Geschicklichkeit verlangt. – Durch eine falsche Bewegung beim Auflegen des Papiers droht sich das Muster an einigen Stellen zusammen zu schieben. Wenn alles gut geht, wird der Papierbogen zum Schluss unter fliessendem Wasser abgeschwenkt und zum Trocknen aufgehängt.

Auswahl der Marmorpapiere, Legatoria Ebro-Ofer, Venezia, 2023

Wie die Muster entstehen

Je nachdem wie breit die Zinken des Kammes sind, die zum Ziehen der Farben verwendet werden, ob sie einen gleichmässigen oder ungleichmässigen Abstand voneinander haben, oder ob es sich um eine Kombination zweier Kämme handelt, können unterschiedliche Muster erzeugt werden. In den 20er-Jahren wurden z.B Bouquet und Pfauenmuster sehr populär. Mit Hilfe von gespitzten Holz-Stäbchen entstehen hingegen Schnecken- und Blumenmuster oder Fabeltiere.

Gegen Ende des 19 Jh. gab es zwar einige Versuche Marmorpapier im Tunkverfahren maschinell zu fertigen, doch die Ergebnisse blieben so unzufriedenstellend, dass sich die Methoden nicht durchsetzen. Die von mir in Venedig gekauften Papiere wurden demnach alle in dem oben beschriebenen, anspruchsvollen Verfahren von Hand dekoriert!

Legatoria Piazessi, Venezia 2023
Auswahl der Marmorpapier-Abschnitte, Legatoria Ebro-Ofer, Venedig, 2023

Venezianische Inspiration

Als ich die allererste Buchbinderei, Legatoria Piazzetti im Castello Viertel, betrat, war mir die besondere Machart des Marmorpapieres, das in Bogenform in den vom Boden bis zur Decke reichenden Regalen ausgelegt war, bei weitem nicht bewusst. Ich verstand daher erst später, weshalb ich mir mit der Bemerkung, dass die Preise hoch seien, die Verachtung der Besitzerin einhandelte. Ihr Stolz auf die Handwerkskunst und die Schönheit der Papiere haben meine Recherchen angetrieben und ich verstand von nun an bei jedem Besuch einer weiteren Papiermanufaktur etwas mehr von der langen Tradition. Zum Schluss nahm ich mit nach Hause zwei ausgewählte Marmorpapierbögen und viele kleinere bunte Abschnitte, die bei Legatoria Ebru in günstigen Päckchen, wie Wundertüten, verkauft werden. Was für eine herrliche und reichhaltige Inspiration für die neuen Zentangle Kacheln!

Zentangle Winterthur
Marmorpapier und Zentangle, CZT Beata Sievi, Winterthur
Marmorpapier und Zentangle, CZT Beata Sievi, Winterthur
Zentanglekurse Winterthur
Marmorpapier und Zentangle, CZT Beata Sievi, Winterthur

Die Marmormuster lassen sich sehr gut mit klassischen Zentangle-Mustern kombinieren. Einfache Muster zu wählen, scheint mir ein Vorteil zu sein, um der gesamten Komposition Stabilität und Ruhe zu verleihen. Eine Wiederholung eines einzelnen Musters in der Lücke zwischen zwei Marmor-Papierstücken eingezeichnet, entfaltet eine unbekannte Wirkung. So entstehen kleine Kunstwerke, manchmal sogar ganze «Zentangle Landschaften», die mich mit Venedig, einer Stadt, die mir stets Inspiration und Wohlbefinden spendet, emotional verbinden. Diese neue Inspiration möchte ich unbedingt im nächsten Zentangle Club mit allen Zentangle Fans teilen.

Collage aus venezianischen Marmorpapier, CZT Beata Sievi
Besondere Utensilien zum Zeichnen – eine Feder aus Murano Glass, CZT Beata Sievi
Zentangle Muster «Purk» eingebettet in zwei Marmorpapier Abschnitte, CZT Beata Sievi, Winterthur

 

Schreibe einen Kommentar